Was schrieb Jesus in den Sand?
Ellen Gould White in:
- Jesus von Nazareth S. 342 ff.
und
- Das Leben Jesu S. 454 ff.
Einige Schriftgelehrte und
Pharisäer
näherten sich ihm und zogen eine von Schrecken ergriffene Frau
mit sich. Mit roher Gewalt zwangen sie die Frau vor
Jesus und klagten
sie
mit harten, eifernden Worten der Übertretung des siebenten Gebotes
an. Zum Herrn sagten sie mit erheuchelter
Ehrerbietung: „Meister,
diese Frau ist ergriffen auf frischer Tat im Ehebruch. Mose aber hat
uns im Gesetz geboten, solche zu steinigen. Was sagst
du?“
Johannes 8,4.5.
Ihre gespielte Hochachtung sollte eine schlau
angelegte Verschwörung
zu seiner Vernichtung verbergen. Sie hatten diese Gelegenheit
ergriffen, um seine
Verurteilung sicherzustellen, dachten sie doch, sie
würden auf jeden Fall eine Ursache finden, ihn
anzuklagen, ganz
gleich,
welche Entscheidung Jesus treffen sollte. Spräche er die Frau
frei, würden sie ihn der Mißachtung des mosaischen
Gesetzes beschuldigen.
Erklärte er sie dagegen des Todes würdig, dann könnten sie ihn
bei den Römern anklagen, daß er sich eine Amtsgewalt
anmaße, die
nur ihnen
zustehe.
Jesus schaute
um sich – er sah das zitternde Opfer in seiner Schande
und die strengblickenden Würdenträger, bar jedes
menschlichen
Erbarmens.
In seinem reinen Sinn fühlte er sich angewidert von diesem
Schauspiel. Er wußte ganz genau, warum diese
Angelegenheit ihm
vorgetragen worden war. Er las in den Herzen und kannte den Charakter
sowie die Lebensgeschichte eines jeden in seiner Nähe.
Diese angeblichen
Hüter
der Gerechtigkeit hatten selbst die Frau zur Sünde
verleitet, um ihn zu fangen. Ohne auf die Frage der
Juden einzugehen,
bückte
sich Christus, schaute lange zu Boden und begann in den Sand
zu schreiben.
Ungeduldig ob seines Zögerns und seiner scheinbaren
Gleichgültigkeit,
kamen
die Schriftgelehrten und Pharisäer immer näher und baten
dringend um seine Aufmerksamkeit. Als aber ihre Blicke
des Herrn
Hand folgten,
die auf dem sandigen Boden immer noch schrieb, und
sie die Schrift entzifferten, die sich vor ihnen
deutlich vom Boden abhob,
erbleichten sie. Sie lasen die verborgenen Sünden
ihres Lebens.
Die
Umstehenden, die den plötzlichen Wechsel im Ausdruck der Ankläger
gewahrten, drängten sich enger an Jesus heran, um zu
erkennen,
was diese so
mit Scham und Verwunderung erfüllte.
Trotz ihrer Beteuerung, das Gesetz zu achten,
mißachteten sie doch
seine Vorschriften, indem sie ihre Anklagen gegen das beim Ehebruch
ergriffene Weib vorbrachten. Es wäre vielmehr des
Ehegatten Pflicht
gewesen, ein gesetzliches Verfahren einzuleiten; daraufhin wären die
Übeltäter gleichermaßen bestraft worden. Die Anklage
vor Christus
war somit
völlig unberechtigt. Der Herr aber begegnete ihnen mit ihren
eigenen Waffen. Das Gesetz befahl, daß bei der
Steinigung des Übeltäters
die Zeugen den ersten Stein auf den Verurteilten zu
werfen hatten.
Jesus
richtete sich wieder auf, schaute die Ankläger an und sagte: „Wer
unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein
auf sie.“
Johannes 8,7.
Dann bückte er sich
abermals und fuhr fort, in den Sand zu schreiben.
Er hatte sich weder gegen Moses Gesetz vergangen, noch
das römische
Recht
gebrochen. Die Ankläger aber waren geschlagen; das Gewand
ihrer erheuchelten Frömmigkeit war von ihnen gerissen.
Nun
standen sie schuldig
und überführt im Angesicht des gerechten Richters.
Sie zitterten vor Furcht, daß ihr sündhaftes Treiben
dem ganzen
Volk bekannt
werden könnte, und schlichen nacheinander mit gebeugtem
Haupt und niedergeschlagenen Augen davon; die
Ehebrecherin
aber
überließen sie dem barmherzigen Heiland.
Jesus schaute die Frau an und
sprach zu ihr: „Weib, wo sind sie,
deine Verkläger? Hat dich niemand verdammt? Sie aber
sprach: Herr,
niemand.
Jesus aber sprach: So verdamme ich dich auch nicht; gehe
hin und sündige hinfort nicht mehr.“ Johannes 8,10.11.
Die Frau hatte, von Furcht überwältigt, vor ihm
gestanden. Seine
Worte:
„Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf
sie“, hörte sie an wie ihr Todesurteil. Sie wagte
nicht, ihre Augen zum
Heiland zu erheben, sondern erwartete schweigend ihre Strafe. Mit
größtem Erstaunen bemerkte sie, wie ihre Verkläger
einer nach dem
andern
sich verwirrt und wortlos entfernten; sie hörte Jesu tröstliche
Worte: „So verdamme ich dich auch nicht; gehe hin und
sündige hinfort
nicht
mehr.“ Erschüttert warf sie sich dem Heiland zu Füßen,
stammelte ihre dankbare Liebe und bekannte unter
heißen Tränen
ihre
Sünden.
Sie begann ein
neues Leben; ein Leben der Reinheit und des Friedens,
geweiht dem Dienste Gottes. Dadurch, daß Jesus dieses
gefallene
Menschenkind
aufrichtete, vollbrachte er ein größeres Wunder, als
wenn er es von einem ganz schlimmen körperlichen
Gebrechen geheilt
hätte.
Er befreite es von der geistlichen Krankheit, die zum ewigen Tode
geführt hätte. Diese reumütige Frau war hinfort eine
seiner treuesten
Nachfolgerinnen. Mit aufopfernder Liebe und Hingabe erwiderte sie
die vergebende Gnade Jesu.
Daß Jesus der Frau vergab und sie ermutigte, ein
besseres Leben zu
führen, wirft auf die vollkommene Gerechtigkeit seines Wesens ein helles
Licht. Er hat weder die Sünde gutgeheißen noch die
Größe der
Schuld; doch
er wollte nicht verdammen, sondern retten. Die Welt
hatte für dieses irrende Menschenkind nur Hohn und
Verachtung, aber
Jesus
spricht Worte des Trostes und richtet auf, was gefallen ist. Der
Sündlose erbarmt sich der Schwäche des Sünders und
streckt ihm seine
hilfreiche Hand entgegen. Die scheinheiligen Pharisäer klagen an
und verurteilen – Jesus aber spricht: „Gehe hin und
sündige hinfort
nicht
mehr.“
Wer abgewandten
Blickes den Irrenden den Rücken zukehrt und
sie nicht daran hindert, ihren Weg ins Verderben
fortzusetzen, ist kein
Nachfolger Christi. Wer darauf aus ist, andere anzuklagen und sie vor
den Richter zu bringen, lädt in seinem eigenen Leben
oftmals mehr
Schuld auf
sich als sie. Die Menschen hassen den Sünder und lieben
die Sünde. Christus dagegen haßt die Sünde und liebt
den Sünder.
Von diesem
Geist müssen auch alle seine Nachfolger beseelt sein. Die
christliche Liebe hält sich zurück im Tadeln, nimmt
aber schnell echte
Reue
wahr. Sie ist immer bereit, dem Irrenden zu vergeben, ihn zu
stärken, auf den Pfad der Gottesfurcht zu bringen und
darauf zu erhalten.
halten.